Verlegung der Landesstraße 171
In der Sitzung des Verwaltungsausschusses am 16. Februar 1960 teilt der Beigeordnete Heinrich Wahls mit, daß die Briten die Festlegung von Überfahrten über die Landesstraße I. Ordnung 171 (LIO 171) Harburger Straße bis Bundesstraße 3 abgelehnt haben. Man müsse nun versuchen, eine andere Lösung für die Verkehrsteilnehmer dieser Straße zu finden. Es seien viele Werksbusse, Lastwagen und fremde Wagen, die dieses Straßenstück befahren und durch die zum Teil unbeleuchtet fahrenden Panzer gefährdet sind.
Der Landkreis Soltau berichtet dem Straßenbauamt Lüneburg, daß auch in 1960 wieder mit erhöhtem Panzer-Querverkehr auf der L 171 zu rechnen sei. Die Kettenfahrzeuge überquerten wahllos dieses Straßenstück und zerstörten es dabei. Um die Zu- und Abfahrt Schneverdingens zur Bundesstraße 3 im nördlichen Bereich sicherzustellen, müßte die Möglichkeit geprüft werden, eine Entlastungsstraße für diesen Abschnitt zu bauen. Als Trasse könnte eventuell die Linie Schneverdingen – Reinsehlen – Wintermoor-Geversdorf dienen. Nach dem Bau der Entlastungsstraße müßte allerdings der Anliegerverkehr auf der alten LIO 171 aufrechterhalten bleiben.
Zwischen der B 3 und der Bundesbahnbrücke auf der LIO 171 sind mehr als 32 Überfahrten von übenden Panzern vorhanden, die die Fahrbahn in eine Schlammwüste verwandeln. Seitens des britischen Verbindungsoffiziers, Oberst White, ist ausdrücklich abgelehnt worden, diese Panzerüberquerungen auf eine begrenzte Anzahl von Überfahrtstellen zu beschränken.
Im Rat der Gemeinde Schneverdingen wurde die Frage des Neubaues einer Umgehungsstraße kontrovers und leidenschaftlich geführt. Emil Gott hielt die Linienführung Harburger Straße – Überquerung der Eisenbahnlinie durch eine neue Brücke, Führung entlang der Bahnlinie (ostwärts) bis zu dem Bogen in Barrlund von dort aus in gerader Linie auf die B 3 zu, für die beste Möglichkeit.
Heinrich Wahls schlug vor, die Schulstraße – Verlängerung Reinsehlen – Wintermoor–Schule –B3– als neue Umgehung zu wählen.
Beide Vorschläge hatten positive, aber auch negative Gesichtspunkte, die im Laufe vieler Sitzungen heftig diskutiert wurden. Es sollte unbedingt vermieden werden, das Erholungsgebiet Höpen durch Kraftfahrzeugverkehr zu beeinträchtigen.
In der Ratssitzung am 25. Juni 1962 wurde vom Rat folgende Linienführung beschlossen:
Ausgangspunkt: Jetzige LIO 171 außerhalb der geschlossenen Ortslage, etwa 300 m westlich der Bahnunterführung der Bundesbahnlinie Soltau – Buchholz, etwa bei Kilometer 488 der LIO 171. Von hier in nördlicher Richtung, hart an der westlichen Grenze des Übungsgeländes bis zur Ortschaft Reinsehlen, wo unsere Linie die von der Bezirksregierung vorgesehene Linienführung trifft. Dann weiter bis zur Ortschaft Ehrhorn und von hier in nördlicher Richtung parallel der Bahn (Westseite) bis nördlich der schienengleichen Kreuzung B 3/Bundesbahn; hier Einmündung auf die B 3.
Der Rat betont, daß die Gemeinde größten Wert auf eine möglichst weitgehende Verschiebung der Linienführung nach der Ostseite der geschlossenen Ortslage lege. Ein Erörterungstermin war von der Bezirksregierung für den 5. Oktober 1962 in Schneverdingen mit dem Landkreis Soltau, der Gemeinde Schneverdingen. Gemeinde Insel, der Gemeinde Zahrensen, dem Straßenbauamt Lüneburg, der Landbauaußenstelle Celle und verschiedenen Dezernaten der Bezirksregierung anberaumt.
Nach Stundenlangem Austausch von Vorschlägen wird schließlich das Ergebnis der Besprechung wie folgt zusammengefaßt:
Alle Besprechungsteilnehmer sind sich darin einig, daß eine Verlegung der jetzigen LIO 171 wegen der Gefährdung des Zivilverkehrs durch die Übungstätigkeit der Stationierungs-Streitkräfte in der „Roten Fläche 1“ dringend erforderlich ist. Wenn möglich, sollte bei der Ausarbeitung der Pläne versucht werden, das Landschaftsschutzgebiet Höpen durch Abrücken der Trasse nach Osten an die Bahnlinie Soltau-Buchholz weitgehend zu schonen.
Die Gemeinde Insel forderte den Bau einer Viehtrift im Bereich der Ortslage Reinsehlen. Landesplanerische Bedenken gegen die beabsichtigte Verlegung der LIO 171 wurden nicht geltend gemacht.
Nach einer Erörterung am 11. Januar 1963 mit Vertretern des Innenministeriums, der Bezirksregierung, des Landkreises und der Gemeinde Schneverdingen wurde vereinbart, daß die „Roten Flächen“ auf dem Höpen, die westlich der Bahn liegen, herausgenommen werden sollen bis zur natürlichen Begrenzung durch die Bundesbahnlinie.
Der erste Plan des Straßenbauamtes Lüneburg konnte von der Gemeinde in gar keinem Fall angenommen werden, da die neue Trasse von dem Ausgangspunkt der L 171 in gerader nördlicher Richtung quer über das Höpengelände führte (siehe Kartenausschnitt Linie 1).
Nach Verhandlungen mit dem Straßenbauamt Lüneburg im Januar 1964 konnte ich erreichen, daß diese Linienführung, die bereits in der Örtlichkeit trassiert war, wieder abgeändert wurde in einer großen Schleife um das Höpengelände herum bis nahe an die Bundesbahn. Eine weitere Verschiebung war leider ausgeschlossen. Selbstverständlich wurde die Planung in der Schneverdinger Bevölkerung heftig diskutiert, immer mit dem Gedanken, unser Höpengebiet als Erholungsgelände zu schonen. Der Verein Naturschutzpark hatte erhebliche Bedenken geltend gemacht, ebenso unser Kunstmaler Allda-Eugende Bruycker, der mir am 2. April 1964 eine Skizze zuschickte, wie er den Blick vom Höpenberg auf die neue Straße mit LKW-Verkehr sehe. Diese Skizze, so meine ich, hat bereits das Vorausschauend ausgedrückt, was Wirklichkeit werden sollte.
Auch der Schneverdinger Pensionär Georg Wegeleben wandte sich in langen Briefen gegen die Verlegung der Landesstraße, in tiefer Sorge darüber, daß das Höpengelände nicht mehr der Ruhe und Erholung dienen könnte und eine moderne Autostraße dieses Gebiet zerstöre.
In der Sitzung des Gemeinderates am 29. Februar 1965 wird über die Verlegung der Straße nochmals verhandelt und darauf hingewiesen, daß die Benutzung der alten L 171 zwischen der Bundesbahnbrücke und der B 3 zu großen Gefahren führe und diese unbedingt alsbald verlegt werden müsse. Es sei im Jahre 1965 mit dem Planfeststellungsverfahren für die Umgehungsstraße zu rechnen. Die Briefe der Schneverdinger Bürger nahm der Gemeinderat nicht nur zur Kenntnis, sondern bemühte sich auch, aus der Notlage für alle Bürger die beste Linienführung zu erreichen.
In einem Protokoll heißt es wörtlich: „Auch Bürgermeister Bosselmann führt aus, indem er Bezug auf die Briefe eines Schneverdinger Bürgers nimmt, daß man sich hier den Notwendigkeiten beugen müsse.“
Das Planfeststellungsverfahren wurde 1965 durchgeführt und zu einer Erörterung über die erhobenen Einwendungen Termin für den 27. Oktober 1965 im Hotel Witte anberaumt.
Am 15. September 1966 habe ich dem Bauausschuß berichtet, daß das Planfeststellungsverfahren für die Verlegung der Landesstraße 171 abgeschlossen sei. Die Einwendungen des Bundes der Steuerzahler, des Herrn Wegeleben und anderer wurden abgelehnt. Die Finanzierung sei jedoch nach wie vor offen.
Probleme bereitete die alte L 171 mit der Eisenbahnbrücke. Am 4. Dezember 1967 hat die Gemeinde den Antrag an den Landkreis Soltau gestellt: „Sobald die Umgehungsstraße von Schneverdingen bis zur Bundesstraße 3 als Landesstraße gemäß den §§ 2/6 NStrG dem öffentlichen Verkehr gewidmet ist, erhebt die Gemeinde Schneverdingen keine Einwendungen gegen die Abstufung der jetzigen Straße von der künftigen Abzweigung in Schneverdingen bis zur B 3. Der Rat der Gemeinde lehnt die Übernahme der Brücke über die Bundesbahnlinie Buchholz–Soltau ab. Diese Brücke muß weiterhin in der Straßenbaulast des Landes verbleiben.“
Am 15. Dezember 1967 berichtet die Heimatzeitung über einen Vorfall:
„Panzer rammte Lastzug. Zu einem Schweren Unfall kam es gestern gegen 11.15 Uhr auf der Landesstraße 171 zwischen der B 3 und Schneverdingen. Ein Spezial-Lastzug mit zwei Schüttbehältern und Anhänger wurde von einem aus dem Gelände kommenden Panzer der Britischen Streitkräfte gerammt. Dabei erlitt der Fahrer des Lastzuges Schwere Verletzungen, er wurde in das Soltauer Krankenhaus gebracht. An den beteiligten Fahrzeugen entstand ein Schaden in Höhe von rund 100000,– DM. Dieser Vorfall beweist erneut, wie dringend es ist. die Umgehungsstraße Schneverdingen – Bundesstraße 3 zu bauen, da die Landesstraße 171 durch Fahrzeuge der übenden britischen Truppen schon lange nicht mehr als verkehrssicher gilt.“
Am 9. April 1973 (!) unterrichtete ich im Namen der Gemeinde Schneverdingen die Privatanlieger von der Tatsache, daß die Trasse vermessen werden sollte und ein Vermessungstrupp die privaten Grundstücke betreten müßte. Es war eine schwierige Verhandlung, das benötigte Eigentum für die neue Straßenführung zu erwerben. Folgende Grundstückseigentümer waren betroffen: Emma Grambeck, Verdener Straße 2, Anna Baden. Harburger Straße 25, Elisabeth Heitmann, Marktstraße 6, Friedrich Bartels. Ottostraße 6, Dora Schröder, Feldstraße 1, Otto Schröder, Grünstraße 12. Anna Greve. Neue Straße 15 , Wilhelm Schloo, Bruchstraße 1, Johanne Griffel – Erben – Kirchstraße, Hildegard Suhrke, Harburger Straße 9, Heinrich Röhrs – Erben – Oststraße 33. Friedrich Lühmann, Oststraße 5, Karl-Wilhelm Bosselmann, Heber, Irmgard Schröder, Grünstraße 3, Johannes Bosselmann, Harburger Straße 7. Anna Dähler, Schulstraße 77. August Inselmann, Schulstraße 83, Gustav Heitmann, Verdener Straße 13, Friderike Wilke, Rosenstraße 3, Forstgenossenschaft Osterheide.
Nach zehn Jahren (!) zäher Verhandlungen konnte die neue Landesstraße 171 ab Mai 1970 gebaut werden.
Die offizielle Übergabe an die Verkehrsteilnehmer fand am 1. Juli 1971 statt. Die alte Landesstraße 171 (mit Ausnahme der Eisenbahnbrücke) wurde zur „Gemeindestraße“ abgestuft.
Auszug aus dem Buch „40 Jahre Schneverdingen 1946-1986. Fakten, Daten, Bilder. Eine Dokumentation“ von Walter Peters, herausgegeben 1987 von der Stadt Schneverdingen und mit freundlicher Erlaubnis der Stadt Schneverdingen vom 30.11.2016 hier freigeben. Seiten 282 – 287.
Siehe auch:
Die Zufahrt nach Kamperheide wurde mit den Bauarbeiten verlegt. Auch Möllers Erdbeerplantage war betroffen.
Dokumente von 1965 – 1967 zur Verlegung der Landesstraße 171 Schneverdingen – Reinsehlen zur Bundesstraße 3 im Raum Insel – Wintermoor – Ehrhorn – Welle unter Signatur: NLA HA, Nds. 120 Lüneburg, Acc. 101/86 Nr. 35 im Landesarchiv Niedersachsen.