KZ-Züge auf der Heidebahn

Als Todesmärsche von KZ-Häftlingen (teils auch euphemistisch Evakuierungsmärsche genannt) werden verschiedene „Räumungsaktionen“ der SS-Wachmannschaften in der Schlussphase des Zweiten Weltkriegs bezeichnet. Dabei löste die SS ab 1944 frontnahe Konzentrationslager auf und zwang die meisten KZ-Häftlinge zum Abmarsch in Richtung Reichsmitte oder sperrte sie als Passagiere zum Abtransport in Eisenbahnwagen ein. Sehr oft wurden nicht marschfähige Häftlinge in großer Zahl erschossen. Zahlreiche KZ-Häftlinge überlebten die tage- und wochenlang dauernden Märsche bzw. Transporte nicht: Sie erfroren, verhungerten oder brachen geschwächt zusammen und wurden dann von den SS-Wachmannschaften erschossen. Zitiert nach:  https://de.wikipedia.org/wiki/Todesm%C3%A4rsche_von_KZ-H%C3%A4ftlingen

Ein Transportzug von etwa 4.000 KZ-Häftlingen aus Nordhausen hielt am 8. April 1945 im Bahnhof Wintermoor. Zwei der Güterwagons waren zu diesem Zeitpunkt schon mit 59 toten Gefangenen gefüllt. Die Toten wurden im „Ententeich“ neben dem Bahndamm verscharrt. Die Weiterfahrt war in den letzten Kriegstagen jedoch nicht mehr ohne Weiteres möglich, denn die Bahnhöfe der Heidebahn waren bereits bis Wolterdingen mit wartenden Zügen vollgestellt. Die Gefangenen durften ihre Wagons, nicht jedoch das Bahnhofsgelände verlassen.Sie wurden von der Familie der Zeugin ME mit Kartoffeln versorgt. Am 9.4.1945 setzte sich der Zug gegen 13:30 Uhr wieder in Bewegung und fuhr Richtung Soltau.

Am Nachmittag des 9.4.1945 traf ein andere KZ-Zug aus Richtung Süden in Wintermoor ein.

Dieser Zug wurde noch am selben Tag von britischen Flugzeugen angegriffen, weil sie den Zug für einen Munitions- oder Truppentransport hielten. Das war nicht unwahrscheinlich, denn in Kamperheide nördlich von Wintermoor befand sich ein großes Munitionslager, die Heeres-Nebenmunitionsanlage Schneverdingen. Maschinengewehrfeuer bestrich die gesamte Zuglänge und sämtliche Wagons des nebenstehenden Munitionszuges (beladen mit 600 Zentner Munition) explodierten. In Folge des Angriffs flohen einige Gefangene, jedoch wurden sie schnell wieder eingefangen und dann hingerichtet. Es gibt Augenzeugenberichte von Erschießungen von Gefangenen, die sich zu weit vom Wagon entfernt hatten. Dieser Zug fuhr am Vormittag des 10.9.1945 in Richtung Buchholz weiter und soll noch einige Zeit auf freier Strecke vor Handeloh gehalten haben.

Am Ende waren 156 Menschen im „Ententeich“ in Wintermoor beerdigt worden. Nach Kriegsende wurden sie auf Befehl der britischen Streitkräfte in ein Massengrab auf den Friedhof umgebettet. Ihre Häftlingsnummern waren zwar noch notiert worden, jedoch ging diese Information auf den Weg nach Celle verloren und die Namen der Toten blieben jahrzehntelang unbekannt.

Ein Gedenkstein auf dem Wintermoorer Friedhof wies anonym auf ihr Schicksal hin.

Alter Stein der KZ-Toten-Gedenkstätte auf dem Friedhof Wintermoor, 1996
Alter Stein der KZ-Toten-Gedenkstätte auf dem Friedhof Wintermoor, 1996

Erst die Recherche von engagierten Bürgern aus der Heidestadt brachte Anfang der Neunziger Jahre deren Namen ans Licht. Stadtratsmitglieder setzten sich dafür ein, dass die bestehende Gedenkanlage um einen neuen Stein mit Erläuterungen ergänzt wurde und die bekannt gewordenen Namen der Toten auf Grabsteinen aus Granit geschrieben wurden. Details und Namen findet man im Beitrag: Kriegstote. Zwischen 2011 und 2012 konnten einige weitere Details ermittelt werden, die deutlich aufzeigten, dass die Häftlingsnummern nicht immer geeignet waren, um Personen sicher zu identifizieren.

Neue Steinplatten der KZ-Toten-Gedenkstätte auf dem Friedhof Wintermoor, 1996
Neue Steinplatten der KZ-Toten-Gedenkstätte auf dem Friedhof Wintermoor, 1996

Diese Gedenkanlage wurde im November 1993 geschändet (siehe Bericht des Heidekuriers, die Veröffentlichung erfolgt mit freundlicher Erlaubnis vom 10.11.2016 durch AM-Verlag Andreas Müller KG, Soltau.).

Heidekurier vom 14.11.1993: KZ-Gedenkstätte wurde verwüstet
Heidekurier vom 14.11.1993: KZ-Gedenkstätte wurde verwüstet

Untersuchungen erfolgten dazu direkt nach dem Krieg 1948 und 1971, jedoch wurde kein Verfahren eröffnet. Ein 1991 eingeleitetes Strafverfahren wegen der Vorgänge am KZ-Zug wurde von der Staatsanwaltschaft eingestellt die Akten dazu sind auch im Landesarchiv Niedersachsen eingelagert und hier als PDF herunterladbar:  19910116_Wintermoor_Einstellung Verfahren wegen KZ-Tote am Bahnhof.pdf (Bislang nicht zur Veröffentlichung freigegeben)

Weitere Dokumente hierzu als PDF (teilweise noch nicht zur Veröffentlichung freigegeben):

  • 19470620_Wintermoor_Bericht über Kriegsgräberangelegenheit
  • 19450410_Wintermoor_Bericht über KZ-Opfer
  • 19450424_Wintermoor_Kriegstagebuch britische Streitkräfte zu Massengrab
  • 19460423_Wintermoor_Bericht der Britischen Armee über Massengräber
  • 19470620_Wintermoor_Bericht über Kriegsgräberangelegenheit
  • 19470922_Wintermoor_Brief Kreissonderhilfsausschuss über Todesmärsche
  • 19560802_Wintermoor_Brief Ehrhorn zu Ehrenmal
  • 19561002_Wintermoor_Brief vom Landkreis über Kriegsgräber
  • 1990_Wintermoor_Augenzeugenberichte über KZ-Züge
  • undatiert: Wintermoor_Bericht über 156 KZ-Tote

Mehr über die Vorgänge im Buch und im Internet unter www.kz-zuege.de (Kapitel 7).

Mehr über Kriegsgeschehen in Wintermoor kann man hier lesen.

Wintermoorer Ententeich am Bahnhof vom M-Daasch-Weg gesehen 2020
Wintermoorer Ententeich am Bahnhof vom M-Daasch-Weg gesehen 2020

Im Landesarchiv Niedersachsen liegen dazu noch Akten ab unter den Signaturen:

  • NLA HA, HA, Nds. 721 Lüneburg Acc. 153/82 Nr. 77: „Ermittlungsverfahren gegen Unbekannt wegen Ermordung und unmenschlicher Behandlung von KZ-Häftlingen auf dem Bahnhof Wintermoor bei Soltau, Anfang April 1944“ (2cm Aktendicke, 1948)
  • NLA HA, HA, Nds. 721 Lüneburg Acc. 42/88 Nr. 34: „Ermittlungsverfahren gegen Unbekannt wegen Mordes (Tötung von KZ-Häftlingen 1945 auf der Bahnstrecke bei Wintermoor, Krs. Soltau-Fallingbostel)“ (1971)