Wie man 1829 einen Lehrer einstellte

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Es war im Herbst des Jahres 1829. Großvaters kleines Einnehmerhäuschen, welches im verflossenen Sommer gebaut war, war erst notdürftig soweit fertig geworden, dass es bewohnt werden konnte. Aber der Neubau war noch feucht, die Einrichtung mangelhaft, da er erst im Frühjahr die Großmutter heimführen wollte. Dazu kam die Einsamkeit, denn sein Haus war der erste Bau in Wintermoor an der Chaussee. Nur der Gutshof Barrl war in 15 Minuten zu erreichen. Doch konnte Großvater als Chausseegeldeinnehmer nicht einen Augenblick seinen Posten verlassen wegen des ununterbrochenen Verkehrs auf der Landstraße.

Da traf es sich eines Tags, als Großvater die großen Eckpfeiler an der Ost- und Westseite des Hauses hellgrau anstrich, dass zwei junge, hübsche Wanderburschen des Weges daher kamen, den Knotenstock in der Hand, das Felleisen auf dem Rücken, schauten sie hellen Aug´s in die weite Welt. Es war ein sonniger Herbsttag. Sie begrüßten Großvater mit dem süddeutschen Gruß: „Grüß Gott“! Sie blieben stehen und schauten Großvater eine Weile zu. Es folgte Rede und Gegenrede und bald wusste Großvater, dass sie liebe Süddeutsche wären. Der eine ein Württemberger und Maurer von Beruf, und der andere ein ehrsamer Schneider aus Bayern.

Als Großvater fertig war, lud er beide ein, mit ins Haus zu kommen, froh etwas Gesellschaft zu haben. Und er erfuhr, dass seine Gäste zu Fuß aus ihrer Heimat heraufgekommen waren, als echte junge Handwerksburschen, keine herumlungernde Buttier, die in Lumpen gekleidet, heute die Landstraßen unsicher machen. Beide hatten ihre Lehrzeit beendet und waren zum Gesellen geschlagen worden, und wollten sich nun, wie es damals erforderlich war, die Welt ansehen. Sich umschauen, wie es in anderen Werkstätten zuging. Sie hatten zuletzt in Soltau gearbeitet, wollten nun gen Hamburg, sich die Stadt und den Hafen ansehen, dann über Bremen, Osnabrück nach Köln und rheinaufwärts heim. So hatten sie es geplant. Zwischendurch, wo es ihnen zusagte, Station machen und sich um gucken, wie es auf den Bauplätzen und den in den Werkstätten der Fremde zuging. Doch vorläufig wurde daraus nichts, denn- sie blieben beim Großvater hängen. Und das war ganz von selber gekommen. Der Württemberger fand als Fachmann hier und dort noch an dem Hause zu tun, und Großvater half dabei. Unterdessen besorgte der Bayer das Zettelstempeln und Geld einnehmen.

Bald hatten sie sich so aneinander gewöhnt, dass die beiden jungen Burschen gar nicht mehr ans Fortgehen dachten. Sie fanden es gar gemütlich hier beim warmen Ofen zu sitzen, wenn draußen der Herbststurm um das Haus tobte. Alles übrig gebliebene Holz von der Baustelle wurde nach und nach in den Ofen gestopft, dass das springende Pferd daran und die Jahreszahl 1705 rot erglühte.

Oftmals kam dann auch Barrlvater dazu, der ebenfalls seine helle Freude an den beiden jungen Leuten hatte, zumal der Bayer gefiel ihm besonders, und einstmals, als Großvater und er allein in der Stube waren, machte er ihm eine Eröffnung, worüber Großvater herzlich lachen musste, obgleich er den Vorschlag gar nicht so unrecht fand.

Barrlvater erzählte ihm nämlich, es sei nachmittags ein Bauer aus B. bei ihm gewesen und habe sich beklagt, dass sie nun schon seit Ostern keinen Schullehrer für ihre Schule hätten. Im Sommer sei es nicht so schlimm, dann hätten die Kinder sowieso keine Zeit, weil man sie beim Viehhüten usw. brauchte. Aber nun im Winter müssten die Kinder doch in die Schule und Lesen und Schreiben und vor allen Dingen Gottes Wort lernen. Ob er keinen Rat wüsste. All ihre Bemühungen deswegen, seien bisher ohne Erfolg geblieben.

„Id will mal sehn, war id dohn kann“, hatte er dem B. geantwortet.

„Un nu hör mal to, Hans Heinrich“, so hieß der Großvater, er fasste ihm beim Militärwams, welches er noch aus der Soldatenzeit her trug, um seine Worte eindringlicher zu machen, „Nu hör mal to:

„Id hew darbi an den lütt´n Snieder ut Bayern dacht. Dat is´n lütt´n gefiebelten Burschen. He Schrift as´n Unkat und kann mit sein Mundwart fertig warn as be Pastor. Schüll de woll Lust hebb´n in Behringen Scholmester to pfäl´n“!

Großvater zuckte die Achseln: „Id weet nich, Barrlvader. Gewt de B.er den´n bet´n wat ut? Id meen kann he von de Scholmesteree leb´n ?

Barrlvater kratzte sich hinter den Ohren: „Hm, ja so ganz väl könnt de Lüe upsta nich utgew´n. Uwer ick dach in mien Sinn, he hett dar bi Sien´n Scholmesterposten väl free Lied, denn so könn an´n En´n, so dach ick gliek noch´n paar Büxen für de B.ner mit neihn. Denn verdeent se duppelt.“

Nun musste Großvater lachen. En´n bet´n väl verlangt von so´n Scholmester, dunkt mi. Dewer frag em sülm. Se püstert beide in de Köf bie´n Füer rüm. Dat Gott well nich bren´n. Id schick em di rin.“

Großvater ging hinaus, um das Abendbrot fertig zu machen, unterdessen Barrlvater mit dem künftigen Schulmeister-Schneider verhandelte.

Dieser hatte nicht übel Lust dazu. Nur ein Bedenken äußerte er, er wär katholisch.

„Sach mal“ fragte Barrlvater, „Kick nin´n Kajiijen un inne Bibel, jo as´t dar in steiht, lehrst du de Kinner dat. Dat du katholisch bist, dar hebbt wi noch nix von markt, dat brukt hier ot kener to wäten. Dat ünner us. Sah man mal na´n Bispinger Pator un snad dat mit em ower.“

Der junge Mann nahm den Vorschlag an und trat in Verhandlung mit dem Herrn Pastor in Behringen welche zu beider Gunsten ausfiel.

Bald nachdem er sein Lehramt angetreten hatte, besuchte er Großvater und teilte ihm mit, dass er stillschweigend zur evangelischen Kirche übergetreten sei. Er hat in B. lange Zeit in Segen gewirkt.


Erinnerung von der Heidedichterin Marie Kupfer, mir zugetragen von Marco Hennig und seiner Schwester. Danke!

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