Aus der frühen Geschichte Wintermoors, Teil 4 von Claus Stamann, Nr. 2/1990 (Link zu: Teil 1, Teil 2, Teil 3, Teil 4, Teil 5 und Teil 6 sowie zu anderen Beiträgen aus „Der Niedersachse„) mit freundlicher Erlaubnis des Autors vom 18.2.2018 im Archiv Wintermoor veröffentlicht.
Trotz der unzureichenden Weidevoraussetzungen, von denen Pastor Beneke spricht, hielt man in der „Colonie Wintermoor“ Viehbestände, die im Verhältnis zu den sommer- und winterfuttertragenden urbaren Flächen zu groß waren. Es ging bei dieser Viehaltung allerdings weniger um die von Pastor Meyer erwähnte „viele Milch“, sondern hauptsächlich um Düngergewinnung (Mineraldünger gab es noch nicht). Düngung war bei den geringen Böden eine dringende Voraussetzung einer einigermaßen lohnenden Acker- und Grünlandwirtschaft. Die der Colonie zugewiesenen Flächen wiederum reichten lange nicht aus, einen für die Düngergewinnung genügend großen Viehbestand zu halten. Das Vieh wurde deshalb in das Gemeinheitsrevier der benachbarten Orte Ehrhorn, Wehlen und Einem getrieben. Das Revier nutzten die Neubauern auch zum Plaggenhieb, um Heidestreu und Material für die Dachbedeckung zu gewinnen. Dort hieben sie außerdem ihre „Brennbülten“ (für Feuerungszwecke).
Die Dorfschaften Ehrhorn, Wehlen und Einem sind mit der Neuansiedlung einverstanden gewesen, als die Vogtei Amelinghausen sie beim Ausweisungstermin angehört und zur Zustimmung aufforderte. Die Besitzer der alten Höfe werden allerdings Unbehaglchkeit über die Siedlungspolitik der königlichen Regierung empfunden haben, weil eine Schmälerung ihrer Weidemöglichkeiten zu befürchten war. Die Furcht wäre jedenfalls nicht unbegründet gewesen, wie die oft schonungslose Übernutzung der Gemeinheitsreviere im Lande zeigt (vergl. Seedorf, 1971). Widerstand leisteten die Bauern allerdings nicht. Sie fanden sich also gewissermaßen mit den Veränderungen in Wintermoor ab. Einer Ablehnung fehlte solange ein direkter Anlaß, als die Viehbestände der Neubauern ein annehmbares Maß nicht überschritten. erst im Laufe der Jahre erhöhte sich die Zahl der eingetriebenen Tiere beträchtlich.
Trotzdem verhielten sich die Alteingesessenen weiterhin abwartend, ja wohlwollend, wie gegenseitige Hilfe z.B. beim Haus- und Stallbau beweisen. Schließlich wandelte sich ihr Unbehagen jedoch in Ärger, es kam zur Gegenreaktion, und eine längere scharfe Auseinandersetzung nahm ihren Lauf.
Den Zorn hatte vor allem Conrad Meyer ausgelöst. Er trieb wesentlich mehr Vieh ein als seine Nachbarn. Vogt Meyer schrieb dazu, Meyer habe „…eine außerordentlich große Schäferei…“ und schätzte, „…daß er 300 bis 400 Schafe hält…“ (eine zu hohe Schätzung, wie sich gezeigt habe).
In der Auseinandersetzung standen sich Heinrich Dittmer, Conrad Meyer, Hans Weseloh und Wilhelm Wiehe aus der „Colonie Wintermoor“ auf der einen Seite und die weideberechtigten Dorfschaften Ehrhorn, Wehlen und Einem auf der anderen Seite gegenüber. Die Dorfschaften klagten 1823 (möglichweise Anfang 1824; das Datum läßt sich nicht erforschen) die vier beim Amt in Winsen ein. Dort brachten sie vor, es würde zuviel Vieh eingetrieben, ihre gemeine Wiese übernutzt. Die Klage hatte zunächst Erfolg. Das Amt wies die Neubauern an, ihre „…auf die gemeine Weide … zu treibende Stückbauern an Vieh auf 2 Kühe, 1 Kalb, 1 Sau und 1 Gans nebst Gänserich zu beschränken“; des „…Auftreibens von Schafen …“ war sich „…gänzlich zu enthalten…“ An anderer Stelle heißt es sogar, „…bereits rechtskräftig verurteilt sind, … die Schafe sofort abzuschaffen…“
Die Betroffenen konnten darauf nicht eingehen, ohne ihre Existenz aufzugeben. So widersprachen sie am 1. März 1824: „Das Wintermoor ist eine mindestens 4 Meilen im Umfange enthaltende Fläche unfruchtbarer Heide, wovon das Eigentum dem Landesherrn zusteht und worauf die zunächstgelegenen Dorfschaften Ehrhorn, Wehlen und Einem das Hud- und Weiderecht exerzieren. Bei dem ungeheuren Umfange dieses Heidedistrikts konnten die zur Weide berechtigten drei genannten Dorfschaften nicht die Hälfte desselben behüten und so lag derselben großenteils völlig unbenutzt und in trauriger Wildnis da. Um diesem Überstande abzuhelfen, geruhete Königliche Cammer … uns … vier Anbauern ein kleines Terrain ausweisen zu lassen. Mit saurer Mühe und mit großen Kosten haben wir solches urbar gemacht und freundliche Saatfelder beleben jetzt jene sonst gänzlich öde Wildnis. Bei dem ungeheuren Umfange des Wintermoores und bei der Unmöglichkeit dessen vollständiger Benutzung von seiten der darauf zur Weide berechtigten ebengenannten Dorfschaften haben wir bis jetzt eine beliebige Menge Hornvieh und Schafe gehalten, solche auch ohne irgendeinen Widerspruch in die große gemeine Weide des Wintermoores getrieben… Die Verhältnisse haben sich nicht geändert und noch immer ist mehr Weide im Wintermoor vorhanden, als jene Dorfschaften und wir benutzen können… Nur Mißgunst kann daher die genannten Dorfschaften veranlaßt haben, jetzt unser so langer mit ihrer Genehmigung exerziertes Weiderecht im Wintermoor zu beschränken… Es kann daher für die letzteren kein Nachteil daraus hervorgehen, wenn uns die Benutzung der gemeinen Weide in dem Maße verbleibt, als zur ferneren Kultivierung des mit saurer Mühe und unendlichen Kosten von uns urbar gemachten Landes erforderlich ist.“ Dittmer, Meyer, Wesseloh und Wiehe führten weiter aus: „…daß solche Kultivierung ohne Haltung von Schafen durchaus unmöglich ist, bedarf keiner Ausführung. Die Schafe sind für den Heidebewohner die wichtigsten Haustiere, indem ihr Dünger der Individualität des Heidebodens am meisten zusagt. Es wäre doch hart und die liberalen Gesinnungen unserer hohen Oberen gerade widersprechend, wenn um des bloßen Eigensinns einzelner Dorfschaften willen unsere freundliche Colonie im Wintermoor wieder veröden und das mit so vieler Mühe und Kosten ausgebrochene Land wieder verwildern sollte, wenn wir mit unsern Familien für alle der Kultur desselben gebrachten Opfer nur den Bettelstab zum Ersatz bekämen.“
Nach einem vergleichenden Blick auf die Auseinandersetzung der Weideberechtigten in Schierhorn mit den dort angesetzten neuen Bauern, mit dem sie ihr Recht nachzuweisen hofften, faßten die Wintermoorer zusammen, ihnen müsse ein ausreichendes Weiderecht für eine angemessene Zahl Tiere zugestanden werden: „Zur ferneren Kultur des von uns angebauten Terrains sind unserer Meinung nach für jeden von uns mindestens 2 Ochsen, 4 Kühe und 15 bis 18 Stiegen Schafe (resp. nach den Bedürfnissen eines jeden Hofes) durchaus notwendig… Um die Zubilligung einer solchen Weidebefugnis für die Zukunft bitten wir nun untertänigst und geben dabei anheim, das Bedürfnis unserer Höfe in dieser Hinsicht durch das königliche Amt Winsen Luhe, unter Zuziehung unparteiischer Ökonomen commissarisch untersuchen und bestimmen zu lassen.“
Der Ausgang des Prozesses ist zwar nicht bekannt, läßt sich aber leicht erraten. Die Neubauern wiesen beachtliche Erfolge ihrer Kultivierungsarbeit vor. Häuser und Ställe waren gebaut, die Grundlagen der Existenz also gelegt. Sie entsprachen damit den in sie gesetzten Erwartungen.
Fehler in der behördlichen Vorgehensweise der Ausweisung lagen nicht vor. Vogtei und Amt äußerten sich gegenüber der Landdrostei zufrieden und verteidigten die Interessen der Neubauern. Im Sinne der Siedlungspolitik der königlichen Regierung war demnach die Ansiedlung als gelungen zu betrachten und den erfolgreich beendeten Verfahren hinzuzurechnen. Die verklagten Siedler werden daher den Prozeß gewonnen, die klagenden Dorfschaften ihn verloren haben.
Nachtrag des Archivars: In den Archiven gibt es noch mehr Dokumente zu Weidestreitigkeiten.