Chausseeaufseher Havemann ist im Jahr 1794 der erste Bewohner der Colonie Wintermoor

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Aus der frühen Geschichte Wintermoors, Teil 1 von Claus Stamann, Nr. 11/1989 (Link zu: Teil 1, Teil 2, Teil 3, Teil 4, Teil 5 und Teil 6 sowie zu anderen Beiträgen aus „Der Niedersachse„) mit freundlicher Erlaubnis des Autors vom 18.2.2018 im Archiv Wintermoor veröffentlicht.

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Die Geschichte Wintermoors an der Chaussee, der „Colonie Wintermoor“, so lautet der historische Name, beginnt im Jahre 1794.

Der Ort verdankt seine Entstehung zwei Umständen: Der notendigen Unterhaltung der späteren „Harburg-Celler-“ oder „Napoleon-chaussee“ (heute Bundesstraße 3) und der Siedlungspolitik der königlichen Regierung in Hannover.

Der erste der genannten Umstände führte direkt an den geschichtlichen Ursprung der Ansiedlung. Die Trasse der Straße war lange vor deren Pflasterung in der napoleonischen Zeit von der zuständigen königlichen Wegbauintendanz (in den Quellen z. T. auch Wegbauinspektion genannt) festgelegt und vermessen. Sie folgte alten Wegen durch die Heide, wie ein Blick auf die kurhannoversche Landesaufnahme von 1764/86 zeigt.

Für Unterhaltungsarbeiten bediente sich die Wegbauintendanz eigener Mitarbeiter oder beauftragter Personen, die an dem Weg wohnten oder die sie dort ansiedelte. So verfuhr sie in der „Colonie Wintermoor“ , als sie Chausseeaufseher Havemann einen Hausplatz zur Gründung einer Anbauerstelle auswies. In einem späteren Bericht heißt es: „… Anbauer Conrad Meyer ist dagegen der Platz zum Neubau und Länderei nicht auf Verfügung des Amts ausgewiesen, sondern ohne weitere Anfrage beim Amte unter Autorisation der Wegbauintendanz für den damaligen Chausseeaufseher Havemann bebaut und nach dessen Tode verkauft worden…“

Mit der Verwirklichung der Siedlungspolitik der Regerung, den erwünschten Neuansiedlungen, waren überall im Lande eigentlich die Ämter beauftragt. Sie suchten nach Siedlungsmöglichkeiten, planten die Ansetzungen der Neubauern und ließen diese den Grundbesitz von der untergeordneten Vogtei ausmessen und zuweisen. In der „Colonie Wintermoor“ lag die Zuständigkeit beim Amt in Winsen an der Luhe und bei der untergeordneten Vogtei Amelinghausen, weil dieser Teil des Wintermoores – bis 1859 – innerhalb deren Grenzen und Verwaltungszuständigkeiten lag. Wie sich zeigt, wich die Ansiedlung Havemann von der aufgeziegten Verfahrensweise ab. Die Wegbauintendanz nahm in eigenem Interesse, ohne Wissen des Amts und der Vogtei, die Ansiedlung vor.

Geschichtlich ist die Ansiedlung Havemanns von Bedeutung. Mit ihm tritt der erste Bewohner der „Colonie Wintermoor“ auf. Ein Feuer legte im Jahr 1818 das Vogteigebäude in Amelinghausen in Schutt und Asche. Die registratur einschließlich der darin aufbewahrten sog. „Konzepte für die Ausweisung“ der Stellen im Wintermoor verbrannten. Die Vogtei sah sich dadurch in den nachfolgenden Jahren gezwungen, gewissenmaßen aus dem Gedächtnis über die „Colonie“ zu berichten. Sie vermochte am 2. Januar 1823 über den Zeitpunkt der Ansiedlung Havemanns nur unbestimmt zu sagen: „… daß des Conrad Meyers Vorgänger Havemann schon vor längerer Zeit … angebaut hat“.

Auch für das Amt Winsen war durch das Feuer ein Zugriff auf Informationen der Vogtei nicht mehr möglich. Dennoch ist ein Schreiben dieser Behörde an die Königliche Landdrostei Lüneburg vom 24. Juli 1824 aufschlußreicher. Indem das Amt über die „… von dem weiland Wegaufseher Havemann … vor etwa 30 Jahren zum Schankkrug an der Chaussee und gleichzeitig Wohnung für den Chausseewärter angelegten Anbauernstelle…“ berichtet, nennt es indirekt, aber doch deutlich, das Jahr 1794 als Entstehungsjahr der „Colonie Wintermoor“.

Havemanns Neubauernhof kaufte nach dessen Tode Conrad Meyer. Dieser bekam gleichzeitig das Schankrecht. Nach Meyer wurde die Stelle von Heinrich Blanke bewirtschaftet. Aus seiner Zeit stammt die Bezeichnung „Blankesches Wirtshaus“, die sich in mehreren schriftlichen Überlieferungen findet. Das Jahr der Übernahme der Neubauernstelle durch die dann folgende Familie Bleeken ist nicht bekannt. Heutiger Besitzer ist Heinrich Bleeken. Das Gasthaus im Hauptgebäude wurde geschlossen, nachdem die Familie 1929 den benachbarten „Heidehof“ gebaut und in Betrieb genommen hatte. Im Jahr 1932 brannte das Bauernhaus ab. Damals wurde Brandstiftung oder fahrlässiger Umgang mit Feuer als Brandursache vermutet.

Die Arbeit eines Chausseeaufsehers konnte Conrad Meyer von seinem Vorgänger Havemann nicht übernehmen. Nachfolger in diesem Amt wurde Meilenwärter Augst Wilhelm Wiehe (1771 – 1840). Die Begründung seiner Anbauernstelle erfolgte 1809. Wie im Falle Havemann geschah auch dies an der Zuständigkeit des Amtes und der Vogtei vorbei. Erst ein Jahr später hat Vogt Meier den von Amelinghausen schließlich sehr weit entfernt, nämlich am Rand seines Dienstbereiches entstandenen Hof bemerkt. Er zeigte dies dem Amt in Winsen an und erhielt von dem Amtsschreiber Mühlenfeld (zweiter Beamter der Behörde und Vertreter des Amtmanns) die Anweisung, „… den Wieheschen Besitz zu vermessen..“, ein Protokoll zu fertigen und damit Wilhelm Wiehe als künftigen Steuerzahler amtlich zu erfassen. Das Protokoll legte er am 1. Juli 1810 in Winsen vor. Der Name Wiehe ist auf dem Hof im Jahre 1960 durch weibliche Erbfolge und Einheirat erloschen.

Sechs Jahre später, die Zeit Napoleons gehörte inszwischen der Vergangenheit an, plante Chausseeinspektor Kothe seine Ansiedlung im Wintermoor. Er hatte sich den hierfür nötigen Platz ausgesucht und trat nun mit der Bitte um Einleitung der amtlichen Ausweisung an Vogt Meier heran. Der teilte dies mit einem Schreiben vom 21. Dezember 1816 dem Amt in Winsen mit. Diese Hofgründung bleibt zwar in vielen nicht erforschbaren Einzelheiten verborgen, aber auch sie stand mit der Chaussee im Zusammenhang, wie sich aus der Dienstbezeichnung Kothes ersehen läßt. Es ist davon auszugehen, daß es sich hier um den heutigen Besitz Heino Badens handelt. Noch dessen Großvater, Heinrich Christoph Baden (1869 – 1951), war beruflich an der Chaussee tätig. Das ursprünglich sehr kleine Insprektorenhaus wurde 1871 mit einem Viehstall erweitert.

In den Geschichtsquellen der „Colonie Wintermoor“ kommt häufig der Name Menke vor. So wird 1835 Einnehmer Heinrich Menke erwähnt. In dem sog. „Planrezeß“, der am 2. Dezember 1862 im Blankeschen Wirtshaus „publiziert“ und „vollzogen“ worden ist und der die „Spezialabteilung“ Wintermoors an der Chaussee abschloß, wird Chausseegeldeinnehmer Hans-Heinrich Menke genannt. Es handelt sich um niemanden anders, als um den zwischen der „Colonie Wintermoor“ und dem Ort Barrl im Haus des heutigen Zollkruges ansässigen und für die frühere Chausseeverwaltung tätigen Mitarbeiter, der den Wegezoll einzunehmen hatte. Das Haus soll eigens für den genannten Zweck errichtet worden sein. Es wird deshalb kaum mehr als den Dienstraum umfaßt haben. Es wurde später (erst etwa z. Zt. der Jahrhundertwende) nördlich und südlich des Dienstraumes um eine Zimmerbreite vergrößert.

Ein gegenüber dem Haus stehender behauener und durchbohrter Stein bezeugt noch heute, daß sich hier einst eine Wegeschranke befunden hat. Dem Einnehmer Menke hatten die vorbeikommenden Reisenden und Frachtfahrer Wegezoll zu entrichten. Ein Nachkomme des Einnehmers, Karl Menke, war früher Bürgermeister der Gemeinde Ehrhorn, mithin auch des Ortes Wintermoor an der Chaussee, der zu der genannten Gemeinde gehörte. Heute befindet sich das „Haus an der Chaussee“ im Besitz Wilhelm Menkes in Vlotho.

Das Gebäude des Einnehmers Heinrich Menke steht an der einstigen Verden-Lüneburger und gleichzeitigen Grenze zwischen dem Verdener Amt Rotenburg und dem Lüneburger Amt Winsen. Die Grenze hatte seit den Grenzverträgen 1575 ff. bis zur Umleitung der Wümme Anfang des 19. Jahrhunderts in den sog. Wümmekanal ihren Verlauf entlang dieses Flüßchens. Mit Beginn der Hannoverschen Verwaltung 1715 ging die Bedeutung der früheren Landesgrenze verloren. Sie trennte fortan nur noch die genannten Ämter und die untergeordneten Vogteien Schneverdingen im Amt Amt Rotenburg und Amelinghausen im Amt Winsen, mithin auch die Orte Barrl und die „Colonie Wintermoor“. Ob das Einnehmerhaus und die Einnehmerstation tatsächlich erst 1820 entstanden, wie angenommen wird, muss leider offengelassen werden. Es fehlen schlüssige Quellen.

Andererseits wäre durchaus auch Zusammenhang der Station mit früheren Verhältnissen, nämlich der Landesgrenze zwischen Verden und Lüneburg, möglich. Der Weg nach Harburg (die heutige B 3) ist früher eineernwegeverbindung gewesen. Frachtfahrer, Reisende, Militär und Postkutschen haben ihn lange vor dem genannten Jahr 1820 genutzt. Am Wümmeübergang überquerte der Weg die Grenze. Treffen nun hieran anknüpfende Überlegungen zu, so könnte die Einnehmerstation eine Zollstation im echten Sinne des Wortes gewesen sein. Ihr Alter wäre dann allerdings auch sehr viel höher einzuschätzen, als es jetzt geschieht.

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