Wilhelm Wiehes und der übrigen drei Neubauern wirtschaftlich schwieriger Anfang, 1794-1824

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Aus der frühen Geschichte Wintermoors, Teil 3 von Claus Stamann (Link zu: Teil 1, Teil 2, Teil 3, Teil 4, Teil 5 und Teil 6 sowie zu anderen Beiträgen aus „Der Niedersachse„) mit freundlicher Erlaubnis des Autors vom 18.2.2018 im Archiv Wintermoor veröffentlicht.

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Wie den Neubauern nach ihren Ansiedlungen im Lande überall, so stand auch den Neubauern in der „Colonie Wintermoor“ eine Zeit der Steuerfreiheit zu. Wilhelm Wiehe schrieb dazu dem Amt Winsen am 22. März 1815 einen Brief. In ihm beantragte er diese Freiheit, obwohl er seinen Hof bereits seit 1809 besaß: „Für 5 Jahre baute ich mir an die Chaussee in Wintermoor, Amtsvogtei Amelinghausen, an; in diesen kriegerischen Jahren, wo ich kein Gehalt kriegte, sondern dagegen in meiner Dürftigkeit mit Einquartierungen und mehrenteils Plünderungen mit meiner starken Familie den fremden Truppen ausgesetzt war, habe ich mein erbautes Haus so weit gekriegt, daß ich mit meiner Familie nur darin wohnen kann. Euer Hochwohl und Wohlgeborene bitte ich daher ganz untertänigst, die Gnade zu haben und mich doch die bekannten Freijahre hochgeneigst zukommen zu lassen und mir mit sehr gnädiger baldiger Resolution ganz hochgeneigst zu versehen…“

Wiehe meinte damit, er habe infolge der Einflüsse der napoleonischen und der nachnapoleonischen Zeit seine wirtschaftlichen Ziele nicht erreichen können. Sein Haus reiche für den Wohnzweck der Familie aus, enthalte den notwendigen Platz für die Viehhaltung aber nur sehr unzureichend.

Amtsvogt Meier aus Amelinghausen nahm in einem Schreiben an das Amt Winsen am 9. Juni 1815 Stellung. Er wies darauf hin, daß Wiehe die Freijahre ja bereits hinter sich habe. Dann nannte er die Mitbewohner in der „Colonie Wintermoor“ Brunkhorst (Nachfolger Weseloh) und Dittmer und zeigte deren Zahlungspflichten auf. Diese bestanden aus „ordinairem Dienstgeld, Rottzins für Wiesen und Ackerland und einem Rauchhuhn“. Die Dienstleistungen beschrieb er so: „… jährlich 12 Herrendiensttage mit der Hand auf Landfolgen und Kriegerreisen, den übrigen Köthnern gleich“. Vogt Meyer stellte anheim, Wiehes Leistungspflichten in selber Höhe zu veranschlagen. Gleichzeitig überließ er es dem „besseren Ermessen“ seiner Vorgesetzten, Wiehe „… von jetzt an noch 3 oder 6 Jahre der Freiheiten zu erteilen…“

Wiehes Wunsch wurde vermutlich nicht erfüllt. Sein Antrag wies kaum besondere Umstände auf, die etwa nur für ihn allein gegolten hätten. Sein Begehren stützte sich wesentlich auf die Not, die seine Familie durch die napoleonische Herrschaft und deren Begleitumstände zu erdulden gehabt hatte. Dasselbe Leid aber war auch seinen Nachbarn Dittmer, Meyer und Weseloh widerfahren.

Die wenigen Hinweise Wilhelm Wiehes, daß seine Familie den „fremden Truppen ausgesetzt war“, daß sie „Einquartierungen“ und „mehrenteils Plünderungen“ erleiden mußte, sind nur eine Ahnung dessen, was in der Zeit in der „Colonie Wintermoor“ wirklich passierte und was die Einwohner an Kriegsnot durchgemacht haben. Die Lage des Ortes direkt an einer Fernstraße mit unzähligen Truppenbewegungen, mit vielleicht fliehenden und im Gefolge der Armeen vagabundierenden Menschen spricht deutlich dafür. Insofern ist der Breif Wiehes für die Geschichte Wintermoors an der Chaussee von großem Wert.

Die Umwandlung des Wintermoores in Ackerland und Wiesen sowie dessen geringe Bodenqualität setzten den wirtschaftlichen Erfolgen der Neubauern enge Grenzen. Unermüdliche Arbeit und kaum vorstellbare Entbehrungen führten erst nach Jahren zu einigem Wohlstand. Das Amt in Winsen stellte 1824 umfangreiche „… Untersuchungen der gegenwärtigen Lage und Beschaffenheit dieser Colonie…“ an. Sein Bericht vom 24. Juli 1824 an die Landdrostei in Lüneburg spricht von dem „Fleiß“ der Menschen. Das Amt war überzeugt, daß nur „… ununterbrochene Tätigkeit und die Beibehaltung derbisher betriebenen Ackerwirtschaft…“ das notdürftigste Auskommen dieser Familien zu erhalten vermochten. Es sah sehr gut auch die mangelhafte Güte des gewonnenen Kulturlndes und sagte hierzu, daß „… der Boden hier von solcher Beschaffenheit ist, daß nur durch vorzuügliche Arbeit und Düngung demselben ein Ertrag abgenommen werden kann, der gleichwohl wenig bedeutender ist, als der Geldwert der darauf verwandten Arbeit und Düngung“.

Wurde der ursprüngliche Zustand mit „flacher, unfruchtbarer Heide“, mit „trauriger Wildnis“ oder mit „Übelstand“ umschrieben, so hatte sich daran 1824 doch schon viel geändert. Gräben entwässerten das Moor, es gab Wege, und Wilhelm Wiehe konnte von „blühenden Saatfeldern“ berichten, die die sonst so „öde Wildnis“ belebten.

Nach 15 Jahren des Bestehens seines Hofes (1809-1824) heußt es über die Verhältnisse Wiehes: „… er ist gegenwärtig Meilenwärter an der Chaussee und besitzt 1 Wohnhaus und einen Schafstall, 10 Morgen Garten-, Wiesen- und Ackerland, 2 Kühe, 1 Rind und 60 Schafe … hat eine Frau mit 8 Kindern zu ernähren“.

Franz Weseloh, Nachfolger auf dem von Brunkhorst gegründeten Hof (1800-1824), besaß ein Wohnhaus, 1 Stallgebäude, 35 Morgen Garten-, Wiesen- und Ackerland, 3 Kühe, 2 Ochsen, 1 Rind, 1 Kalb und 85 Schafe“. Weseloh „…hat Frau und 2 Kinder und ernährt sich anbei vom Tagelohn“.

Auch über Heinrich Dittmer, der gleichzeitig mit Brunkhorst seinen Hof zugewiesen bekommen hatte (1800-1824), enthalten meine Quellen Angaben. Es heißt, er „… besitzt gegenwärtig 1 Wohnhaus, 1 Schafkowen, circa 30 Morgen Garten-, Wiesen- und Ackerland, 2 Kühe, 2 Ochsen, 1 Kalb und 60 Schafe; hat eine gleiche Familie (Anmerkung: Weseloh gleich) … und geht gleichfalls mitunter auf Tagelohn an der Chaussee“.

Zum ältesten der vier Höfe (1794-1824), dem Anwesen Conrad Meyers, gehörten „… ein neues Wohnhaus, 3 Stallgebäude, 50 Calenberger Morgen Garten-, Wiesen und Ackerland, 6 Kühe, 2 Rinder und 180 Schafe“; Meyer „…hat Frau und 2 Kinder und ein mittelmäßiges Fortkommen“. Meyer, Nachfolger im Eigentum der Havemannschen Stelle, besaß nicht nur den Hof seines Vorgängers, sondern auch dessen Krugrecht. Er zog damit besondere Vorteile aus dem Verkehrsaufkommen der vorbeiführenden Fernwegeverbindung. Sein „Schankkrug an der Chaussee“ blieb unabhängig von den jweiligen politischen Verhältnissen, z.B. auch in Zeiten militärischer Besetzungen, stets eine Quelle lohnender Einnahmen. So läßt es sich erklären, daß bei ihm ein bedeutenderes Eigentum ermittelt wurde als bei sienem Nachbarn. Meyer hatte nicht nur größere Flächen urbar und besaß mehr Tiere, sondern auch sein Gebäudebestand war umfangreicher. Das Amt bemerkte dazu: „Durch die ihm verliehene Konzession zur Krügerei an der Chaussee hat er ein kleines Nebengewerbe, welches dazu beigetragen hat, seine Anbauernstelle schneller … in eine wirtschaftlich gute Lage zu bringen, daher er denn auch im Zubruch an Ländereien am tätigsten gewesen und seinen Ackerbau ziemlich gehoben hat“.

Die günstigeren Gegebenheiten in der heutigen Landwirtschaft infolge Mechanisierung und mineralischer Düngung dürfen zur Beurteilung damaliger Verhältnisse nicht herangezogen werden. Ein Eindruck von der Wechselbeziehung der aufgezeigten Flächnemaße der Höfe und den gehaltenen Viehbeständen wäre so nicht zu gewinnen. Besser geeignet ist die bäuerliche Wirtschaft in der Umgebung. Entsprechende Einschätzungen finden sich in einem Bericht des Pastors Georg Wilhelm Friedrich Beneke. Sie trafen uneingeschränkt auch für Wintermoor zu (Beneke wird zitiert bei Seedorf, 1971; der Verweis Seedorfs einer dienstlichen Tätigkeit Pastor Benekes in Soltau ließ sich bei einer Nachprüfung in der Literatur nicht bestätigen, vergl. Meyer, 1942): „So wie es im allgemeinen an nahen und guten Weideflächen mangelte, so ist dagegen die Weidefläche sehr umfangreich; aber sie liefert nur Heidekraut und dürres, saftloses Sand- und Moorgras.“ Unter genau gleichen Weidevoraussetzungen weideten Brunkhorst (später Weseloh), Dittmer, Meyer und Wiehe ihr Vieh im Wintermoor.

Auch Pastor Johann Christian Meyers Eindrücke, die er bald nach seinem Amtsantritt 1794 in Schneverdingen gewonnen und später niedergeschrieben hat, dürfen für die Beurteilung herangezogen werden. Zwar gehörte die „Colonie Wintermoor“ zum Kirchspiel Bispingen und wurde erst später Schneverdingen angegliedert, dennoch trafen Pastor Meyers Beobachtungen auch für diesen Ort vollkommen zu: „Von dem Grund und Boden des Ländchens, in dem ich jetzt weilte, konnte ich nach kurzer Zeit redlich beteuern, daß es kein Stück von dem verlorenen Paradiese sein könne, doch aber das nördliche Kanaan, wegen der vielen Milch und des Honigs, hätte genannt werden können: Ein Ländchen, das seine Einwohner … kümmerlich im Schweiße ihres Angesichts ernährte“.

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