Das Ende der Frühlings- und Herbstbeweidung der Winterwiesen im Jahre 1835

on

Aus der frühen Geschichte Wintermoors, Teil 5 von Claus Stamann, Nr. 3/1990, (Link zu: Teil 1, Teil 2, Teil 3, Teil 4, Teil 5 und Teil 6 sowie zu anderen Beiträgen aus „Der Niedersachse„) mit freundlicher Erlaubnis des Autors vom 18.2.2018 im Archiv Wintermoor veröffentlicht.

Der Niedersachse - Sonntagsbeilage der Böhme-Zeitung - Header

Nahe des heutigen Bahnhofs Wintermoor befindet sich die sog. Winterwiesen. In früheren Jahrhunderten wurden sie im Rahmen der „Frühlings- und Herbst-Wiesenbehütungsberechtigung“ als Viehweide genutzt. Im übrigen dienten sie der Grasmahd und Heugewinnung.

Die Wiesen waren von geringer Qualität. Ihr Wasserhaushalt war bis zur Kanalisierung der Wümme vor der Generalteilung nur unzureichend oder überhaupt nicht reguliert, ihre Kultur schlecht. Die Bodenqualität war gering, die Bultenbildung der Moorgräser dagegen stark. Die Erträge blieben niedrig. Zusammen mit dem übrigen Futter, etwa dem auf den Feldern geernteten Stroh, reichte das Heu nur knapp zur Winterfütterung. Trotzdem konnte niemand auf die Wiesen verzichten.

Winterwiesen Wintermoor Blick nach Süden vom Weideweg Dezember 2021
Winterwiesen Wintermoor Blick nach Süden vom Weideweg Dezember 2021
Winterwiesen im Oktober 2022
Winterwiesen im Oktober 2022

Die Winterwiesen lagen in den Gemeinheitsrevieren der Orte Wehlen, Ehrhorn, Einem und Niederhaverbeck. Diesen Orten stand damit eigentlich das allgemeine Weiderecht zu. Überraschenderweise wurden die Wiesen nicht, wie das übrige Wintermoor, gemeinschaftlich und zur allgemeinen Weide genutzt. Sie befanden sich vielmehr im Einzelbesitz von insgesamt sieben Höfen. Die genannten Dorfschaften besaßen lediglich das Recht der Frühlings- und Herbstbeweidung.

Der Grund für die Besitzverhältnisse ist nicht bekannt. Eine Erklärung ließe sich vielleicht in früheren Eigentumsveränderungen durch Heirat vermuten. Genauso gut können Käufe und Verkäufe der Wiesen eine Rolle gespielt haben. Wahrscheinlicher ist jedoch eine bewußte Nutzungsübertragung an einzelne Bauern in sehr frühen Zeiten, weil natürliches Grünland als existentielle Voraussetzung bäuerlichen Wirtschaftens in vielen Heidedörfern knapp oder gar nicht vorhanden war.

Bei einem Blick auf den Einzelbesitz an den Winterwiesen gewinnt letztere Vermutung an Wahrscheinlichkeit: Hans-Joachim Riebesehl aus Barrl 5 Morgen 56 Quadratruten, Christoph Tödter aus Hansahlen 2 Morgen 80 Quadratruten, Christoph Volkmer aus Hansahlen 2 Morgen 92 Quadratruten, Christoph Rieckmann aus Wilsede 7 Morgen 46 Quadratruten, Heinrich Inselmann aus Meningen 9 Morgen 108 Quadratruten, Johann-Heinrich Homann aus Undeloh 6 Morgen 8 Quadratruten und Peter Otten aus Wehlen 14 Morgen 15 Quadratruten.

Die erhöhte Lage fernab eines größeren Gewässers mit natürlichem und ausreichend großem Wiesengelände traf mehr oder weniger für alle genannten Orte zu. Die Winterwiesen stellten daher einen Ersatz für fehlendes Wiesengras in Hofnähe dar. Die Unbequemlichkeit der Bewirtschaftung wegen der weiten Wege, z.B. Hansahlen – Winterwiesen etwa 8 Kilometer, Undeloh – Winterwiesen etwa 10 Kilometer, war in Kauf zu nehmen. Nebenbei erklären die Besitzverhältnisse die erhaltenen und bis heute gebräuchlichen Flurbezeichnungen Hansahlener Wiese, Barrler Wiese usw.

Die Einzelheiten des Rechts der Frühlings- und Herbstbeweidung der Winterwiesen sind nicht mehr bekannt. Die Beweidung selbst läßt sich schlußfolgernd aus der allgemeinen Futterknappheit und der Notwendigkeit natürlicher Düngung erklären. Aus denselben Gründen begann sie schon früh im Jahr, vielleicht gleich nach der Schneeschmelze. Parallel zu ähnlichen Beweidungsrechten in der Umgebung wurde „Mariä Verkündigung, 25. März“, in „zeitigen Frühjahren früher“, der lezte Termin der Frühlingsbeweidung erreicht. Die Herbstbeweidung nahm ein nicht weniger umfangreiches und schonungsloses Ausmaß der Nutzung an. Der Auftrieb erfolgte alsbald nach der zweiten Grasmahd. Aus Gründen des sparsamsten Umgangs mit dem Winterfuttervorrat wurde die bis zum tatsächlichen Beginn des Winters ausgedehnt.

Es ist nur zu verständlich, daß die sieben Besitzer der Winterwiesen ein solch umfangreiches Mitnutzungsrecht anderer Bauern als belastend empfanden. Sie wollten es gern beenden und stellten einen entsprechenden Antrag. Das für Wintermoor zuständige Amt erhielt darauf von der Landdrostei Lüneburg den Auftrag, nach den Grundsätzen der hannoverschen Agrarreformgesetze die „Tunlichkeit und Ratsamkeit“ des Antrages zu untersuchen und die Ablösung herbeizuführen.

Nach einigen Vorbereitungen fand am 18. September 1835 im Hause des Neubauern und Gastwirts Heinrich Blanke der Ablösungstermin statt. Eingeladen zu dem Termin waren die sieben Wiesenbesitzer als Antragssteller und die zur Behütung der Winterwiesen berechtigten Bauern. Die Bewohner der „Colonie Wintermoor“, Neubauer Heinrich Blanke, Neubauer Heinrich Dittmer, Neubauer Hans Weseloh, Neubauer Georg Wiehe, Chausseeaufseher Voigt sowie Einnehmer Heinrich Menke nahmen auf Einladung ebenfalls an der Versammlung teil.

Der Eröffnung des Termins folgte die Feststellung, daß die Bauern der Dorfschaften Wehlen, Ehrhorn, Einem und Niederhaverbeck mit ihren Kühen zur Frühlings- und Herbstbeweidung der Winterwiesen berechtigt seien. Eine Ausnahme bildete Peter Otten. Ihm konnte als Besitzer eines Teils der Winterwiesen nicht gleichzeitig auch das Recht derer Frühlings- und Herbstbeweidung zustehen.

Auch die Wintermoorer meldeten einen Anspruch auf das Recht der Winterweisenbeweidung an. Vielleicht taten sie das in der Meinung, dies Recht sei ihnen 1823 in dem Prozeß um das Eintriebsrecht für ihr Vieh in das Wintermoor zugefallen. Wahrscheinlicher jedoch erhoben sie den Anspruch aus der heimlichen Überzeugung, der Versuch könne nicht schaden. Ihr Bemühen schlug zunächst aber fehl. Die anderen Dorfschaften stritten lebhaft dagegen und gestanden das Recht nicht zu.

Trotz der Spannungen und in dem allgemeinen Durcheinander der Versammlung suchte der Beamte geduldig die Ablösung im Wege der gütlichen Einigung herbeizuführen. Das gelang ihm schließlich nach langem „Hin- und Herreden“. Von jedem Einzelbesitz war ein Sechstel abzutreten. Die errechneten Teile wiederum ergaben ein Sechstel der Gesamtflächem das sodann die bisher weidebefugten Dorfschaften als Entschädigung erhielten. Zwischen den verbleibenden fünf Sechstel und dem abgetretenen einen Sechstel der Winterwiesen sollten Gräben zur Markierung der Grenzen ausgehoben werden.

Nachdem sowohl die Besitzer der Restwiesen als auch die neuen Besitzer des abgetrennten Teils sich zur gütlichen Einigung über die Neuverteilung bereitfanden und sich entsprechend erklärten, gestand plötzlich das Amt in dieser späten Phase des Termins und gegen den Willen der übrigen Interessenten auch den Wintermoorern den Anspruch auf die Winterwiesenbeweidung zu. Damit wurden diese Miteigentümer des abgetrennten Teils. Obwohl ihr Anspruch streitig blieb, riet der Beamte, auch hierüber eine gütliche Übereinkunft zu erreichen oder den „…streitigen Punkt allenfalls im Wege Rechtens zu schlichten.“

Schreibe einen Kommentar